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Tempo 160 auf Autobahnen ist kontraproduktiv

TeaserbildTeststrecke Tempo 160 auf Tauernautobahn läuft

Österreich hat eine 2,5 mal höhere Getötetenrate auf der Strasse als die Schweiz!

Sechs Gründe, die dagegen sprechen – mit oder ohne Verkehrsbeeinflussungsanlage!




(Bild ORF online)


Zur Spezialseite "Tempo160" des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie.

Der österreichische Verkehrsminister Gorbach hat seit dem 2. Mai 2006 auf der nur vierstreifigen Tauernautobahn zwischen Spittal/Drau und Paternion bei günstigen Verkehrsverhältnissen (Verkehrsbeeinflussunganlage und Section Control) Tempo 160 km/h zugelassen. Es ist offenbar nun soweit, dass diese gegen die Vernunft, gegen die Erfahrung mit der Sicherheit auf Autobahnen in Verbindung mit der Geschwindigkeit, gegen die Bedenken der Fachleute und gegen den europäischen Trend laufende Massnahme kommt. Immerhin kommt Widerstand auf. Autobahnblockaden haben schon stattgefunden. Da die Unvernunft nicht mehr zu bremsen ist, wird man die Folgen beobachten und die Verantwortlichen gegebenenfalls zur Rechenschaft ziehen müssen. Die Frage ist doch letztlich: "Wo liegt denn das Interesse an diesem 7 Mio. € teuren Vorhaben?" Diese Ausgabe muss man auch im Zusammenhang mit der Tatsache sehen, dass man anderswo auf Autobahnen die Absicherung gefährlicher Hindernisse aus Kostengründen unterlässt!

Nachdem Österreich im internationalen Vergleich heute schon eine ausgesprochen schlechte Bilanz vorzuweisen hat (siehe auch Unfallstatistik Schweiz 2005), wofür verschiedene Gründe verantwortlich sind (ungenügende Verkehrsüberwachung, zu viele Mängel hinsichtlich Markierung und Beschilderung, zu wenig harte Sanktionen bei Verkehrsregelverstössen) und heute schon zu den wenigen Ländern mit dem höchsten Tempolimit gehört (Deutschland, wo die freien Strecken auch immer seltener werden und 130 km/h in Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei und Ungarn), ist eine weitere Erhöhung unverantwortlich.

Der schweizerische Bundesrat lehnte im Juni 2005 aus Sicherheitsgründen nur schon eine Erhöhung um 10 km/h, das heisst auf 90 km/h ausserhalb von Ortsgebieten und auf 130 km/h auf Autobahnen ab, u.a. mit der Begründung, dass nach der Senkung der Geschwindigkeitslimite von 130 auf 120  die Unfallschwere auf Schweizer Autobahnen, das heisst die Anzahl Verunfallter pro Unfall um 12 Prozent zurückgegangen sei..



Mindestens sechs verkehrs- und sicherheitstechnische Gründe sprechen deutlich dagegen:
  1. Die Ausbaugeschwindigkeit der Autobahnen ist in Österreich nicht einheitlich, die "Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau" RVS 3.23 sehen aber nicht mehr als 130 km/h vor (in der Schweiz zB. 120 km/h). Sie ist nicht mit der zulässigen Höchtsgeschwindigkeit zu verwechseln, die umgekehrt natürlich durch die Ausbaugeschwindigkeit beeinflusst wird. Diese Ausbaugeschwindigkeit hat Einfluss auf die Kurvenradien, die Sichtweiten usw. Höhere gefahrene Geschwindigkeiten sind damit ein unnötiges Zusatzrisiko.

  2. Geschwindigkeit 160 km/h stellt höchste Anforderungen an das Fahrkönnen. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuglenker sind gar nicht in der Lage, höhere Geschwindigkeiten sicher zu fahren, wobei es nicht primär ums Fahren selber geht. Ihr Fahrkönnen erlaubt es nicht, bei solchen Tempi gefahrlos zu bremsen und auszuweichen.

  3. Damit steigt die Zahl der "Drängeler", die zu nahe auffahren und damit ein unverantwortlich hohes Risiko schaffen.

  4. Ein weiteres Risiko ist die grössere Geschwindigkeitsdifferenz, ein Faktor, der die Verkehrssicherheit direkt beeinflusst, und vom Durchschnittsautofahrer meist nicht richtig eingeschätzt werden kann, schon gar nicht im Rückspiegel. Besonders problematisch ist diese Situation bei Dunkelheit, wo man nur die Scheinwerfer nachfolgender Fahrzeuge erkennen kann.

  5. Wenn es zu einem Unfall kommt, nimmt die vernichtende Energie unverhältnismässig zu und die auftretende Energie steigt im Quadrat zur Geschwindigkeit (e = m x v2/2)! In Zahlen: Bei 160 km/h steigt die Vernichtungsenergie auf das Anderthalbfache (!) gegenüber 130 km/h oder anders ausgedrückt: Bei 23% höherer Geschwindigkeit steigt die Vernichtungsenergie und damit das Verletzungsrisiko um 51 % !!

  6. Mit 160 km/h steigt die Staugefahr und damit auch jene der Auffahrkollisionen. Eine Autobahn hat ihre maximale Leistungsfähigkeit bei ca. 80 km/h (Fundamentaldiagramm; Prof. R. Lamm, Karlsruhe und Institut für Verkehrstechnik Uni Karlsruhe: Grundlagen Geschwindigkeit, Abb. 4.4 [pdf-Datei, 88KB]). Bei kleineren und höheren Geschwindigkeiten sinkt diese Leistungsfähigkeit (Fahrzeuge pro Fahrstreifen und Stunde) und damit wächst die Staugefahr.
Bundesminister Gorbach und die Befürworter von Tempo 160 machen geltend, dass sich seit Einführung von Tempo 130 auf Autobahnen vor drei Jahrzehnten die Technik weiterentwickelt habe und man dem Rechnung tragen müsse. Offenbar übersehen sie aber, dass sich weder der für die Sicherheit in diesem Zusammenhang hauptverantwortliche Faktor Mensch noch die Physik geändert haben.

Ist uns die Sicherheit und damit die Unversehrtheit nicht mehr wert?

Von der kontraproduktiven Wirkung einer solchen Massnahme ist der Verfasser dieses Beitrages auch als Verkehrsexperte und ehemaliger Leiter von Fahrkursen mit hohen Geschwindigkeiten für Polizeibeamte und Staatschauffeure überzeugt.
DI Bruno Hersche

Medienmitteilung der Österr. Ges. für Notfall- und Katastrophenmedizin (ÖNK) dazu
Brief
der Österr. Ges. für Notfall- und Katastrophenmedizin (ÖNK) an Vizekanzler Gorbach
Homepage der ÖNK: www.notarzt.at



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